
Via Silenzi Tag 1: Vom idyllischen S-charl in die verschneite Einsamkeit nach Lü
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WT2
488m
380m
5:15
Nov-Mär
15.1km
Unsere Schneeschuhtour entlang der Via Silenzi begann am Bahnhof in Scuol, einem gut erreichbaren Punkt aus der ganzen Schweiz. Von hier aus fuhren wir in das malerische Dorf S-charl, das als Startpunkt der Tour dient. Der Ort ist bekannt für seine Ruhe und bietet im Winter eine besonders friedliche Atmosphäre. Da die Straße nach S-charl während der Wintermonate gesperrt ist, erreichen wir den Ausgangspunkt nur mit einem Shuttle und einer Pferdekutsche, was der Reise eine nostalgische und fast magische Stimmung verleiht. Normalerweise führt die Kutschenfahrt durch eine verschneite Winterlandschaft, doch bei unserem Besuch Ende März war das Wetter bereits eher frühlingshaft und ein Grossteil des Schnees entlang dieser Strasse bereits weggeschmolzen.
Am Vorabend hatten wir die anderen 6 Teilnehmer und auch unsere Schneeschuhleiterin Chantal kennengelernt, die uns während der nächsten 3 Tage begleiten würde. Bei einem feinen 3-Gänge-Menü lernten wir uns kennen und freuten uns auf die kommenden Tage.


Das Gasthaus Mayor befindet sich im malerischen Weiler S-charl im Unterengadin, am Rande des Schweizerischen Nationalparks auf 1’813 Metern über Meer. Es wurde 1972 von Dominique Mayors Vater gegründet und zunächst nur während der Sommermonate betrieben. Dominique Mayor übernahm das Gasthaus 2006 und erweiterte den Betrieb schrittweise zu einem Ganzjahresbetrieb, um der steigenden Nachfrage von Gästen, insbesondere Skitourenbegeisterten, gerecht zu werden.
Schon bei unserer Ankunft in S-charl spüren wir die Abgeschiedenheit, die uns in den kommenden Tagen begleiten wird. Zwischen November und Februar bleibt der Ort mit seinen 13 Häusern, zwei Gasthäusern und einer kleinen Kirche weitgehend im Schatten – Sonnenstrahlen verirren sich kaum hierher, und auch Besucher sind selten.
Die einzigen, die den Winter über bleiben, sind Anita und Dominique Mayor, die das gleichnamige Gasthaus führen. Neben seiner Tätigkeit als Gastgeber engagiert sich Dominique in verschiedenen Bereichen: Er arbeitet mit dem WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) zusammen, ist Mitglied des Scuoler Krisenstabs, Feuerwehrmann vor Ort und verantwortlich für die Kläranlage sowie die Strassenräumung bei Schneefällen.
Das Gasthaus Mayor bietet seinen Gästen eine gemütliche Atmosphäre mit kulinarischen Genüssen, darunter bekannte Wildgerichte, die ganzjährig serviert werden. Für Entspannung sorgen eine Sauna und ein beheizter Hot Tub mit einzigartigem Bergpanorama. Die abgeschiedene Lage von S-charl macht das Gasthaus zu einem besonderen Rückzugsort für Naturliebhaber und Ruhesuchende.


Nach einem leckeren Frühstück brechen wir pünktlich um 7 Uhr auf. Die Wetterprognose ist zwar nicht ideal, doch immerhin bringt der angekündigte Schneefall frischen Neuschnee für die kommenden Tage. Wir legen unsere Ausrüstung inklusive LVS-Gerät an, machen den Pieps-Test und laufen entlang des kleinen Baches los.


Schon bald finden wir unseren eigenen Rhythmus, während jeder still seinen Gedanken nachhängt. Der Weg ist unkompliziert mit einer sanften Steigung, und wir bewegen uns auf festgetretenem Schnee vorwärts bis wir Plan d’Immez erreichen. Ab diesem Punkt ist weder eine Spur noch ein Weg zu erkennen, und wir sind die Ersten, die mit Schneeschuhen ihre Spuren in die unberührte Winterlandschaft setzen. Die einzigen Spuren im Schnee stammen von Tieren – vor allem von Hasen, Füchsen und Eichhörnchen – sowie von unseren eigenen Schritten. Weit und breit ist kein anderer Mensch zu sehen, und das bleibt auch so, bis wir uns dem heutigen Etappenziel nähern: dem Bergdorf Lü in der Val Müstair.


Unsere Route führte uns durch den God da Tamangur, der als der höchstgelegene Arvenwald Europas gilt. Dieser Wald ist besonders im Winter eine Augenweide, wenn der Schnee die knorrigen Bäume bedeckt und der Wald in eine Art Wintermärchen verwandelt. Die stillen, tief verschneiten Wege waren eine Einladung, die Zeit anzuhalten und die Natur zu genießen. In dieser unberührten Landschaft konnten wir die Stille wirklich spüren, die uns umgibt.


God da Tamangur ist der höchstgelegene Arvenwald Europas und ein einzigartiges Naturjuwel im schweizerischen Val S-charl, einem Seitental des Unterengadins. Auf etwa 2.300 Metern Höhe wachsen hier widerstandsfähige Zirbelkiefern (Arven), die extremen klimatischen Bedingungen trotzen. Die knorrigen, teils jahrhundertealten Bäume sind Relikte einer längst vergangenen Zeit und ein beeindruckendes Beispiel für die Anpassungsfähigkeit der Natur. Chantal zeigt uns, wie wir den Unterschied zwischen Arven und Föhren erkennen können und wie die Samen der Bäume durch die Tannenhäher verteilt werden.



Ein Wald voller Geschichte
Der God Tamangur, Europas höchstgelegener geschlossener Arvenwald im Unterengadin, hat eine bewegte Geschichte. Während der Bergbauaktivitäten vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert in der Region wurde intensiv Holz für die Erzverarbeitung benötigt, was zu erheblichem Holzeinschlag in vielen Wäldern führte. Der God Tamangur blieb jedoch weitgehend unberührt, da sein Holz aufgrund der abgelegenen Lage und hoher Transportkosten kaum genutzt wurde. Lediglich für die umliegenden Alpen diente der Wald als Brennholzquelle. Heute ist der God Tamangur ein Naturwaldreservat, in dem die natürliche Entwicklung des Waldes ohne menschliche Eingriffe gefördert wird.


Heute ist der God da Tamangur vor allem im Sommer ein beliebtes Ziel für Wanderer, die auf einsamen Pfaden durch diese hochalpine Landschaft ziehen.Der God Tamangur besteht beinahe zu 100 % aus Arven, mit einem kleinen Bestand an jungen Legföhren. Das Gebiet Tamangur umfasst Moorlandschaften (Schweizerischen Moorlandschaften von besondererSchönheit und nationaler Bedeutung), Lärchenwälder und Arvenwälder.
Im Sommer darf man Beeren und Pilze sammeln, jagen und auch den Weg verlassen. Er wird forstwirtschaftlich nicht mehr genutzt und es gibt eine Weideverbotszone. Im Winter hingegen befindet sich direkt am Wanderweg anschliessend eine grosse Wildruhezone. Falls du die Schneeschuhtour unbegleitet unternehmen solltest, schaue dir bei der Tourenplanung unbedingt das Gebiet an, welches nicht betreten werden darf.


Ein Symbol für Widerstandskraft
Die Arven im God da Tamangur wachsen unter extremen Bedingungen: lange, eisige Winter, kurze Sommer und karge Böden. Doch genau diese Härte macht den Wald so besonders. Manche Bäume sind bis zu 800 Jahre alt und verkörpern die unglaubliche Zähigkeit der Natur. Wenn ein Baum stirbt, bleibt er oft noch Jahrzehnte als bleiches, wettergegerbtes Skelett stehen – ein Mahnmal der Vergänglichkeit, aber auch der Beständigkeit. Chantal führt uns zu einem Baum, in dessen Rinde Nüsse eingeklemmt wurden, damit die Vögel sie herauspicken und knacken können. Doch von den Nüssen selbst ist nichts mehr übrig – nur die leeren Schalen zeugen noch von ihrer Mahlzeit.



Am Ende des Tals öffnet sich das Val S-charl zu einem weitläufigen, nahezu ebenen Hochtal, auf welchem die Alp Astras liegt. Im Windschatten eines Holzgebäudes auf der gegenüberliegenden Talseite finden wir einen geschützten Platz für unsere Mittagspause. Zur Stärkung gibt es Arvennüsse zum Probieren – eine echte Herausforderung, denn die winzigen Kerne müssen erst im Mund geknackt werden. Früher fanden sie ihren Weg in die Bündner Nusstorte, doch das Sammeln und Herauslösen der Nüsse muss eine mühsame und zeitaufwendige Arbeit gewesen sein.


Unsere Bergwanderleiterin übernimmt die anstrengendste Aufgabe: das Spuren durch den tiefen Schnee. Am Ende unserer Gruppe von neun Personen fällt das Gehen spürbar leichter, und das ruhige Tempo gibt mir die Gelegenheit, die verschneite Landschaft intensiv wahrzunehmen. Doch nach einiger Zeit wechseln wir uns beim Spuren ab, sodass immer wieder andere hinter Chantal gehen und sie bei der kräftezehrenden Arbeit im tiefen Schnee unterstützen. Nach dem Durchqueren des Arvenwaldes und dem Passieren der Alp Astras, folgen wir dem kleinen Bächlein Clemgia weiter durch das Gebiet Tamangur (Zondra da Tamangur) bis wir den Pass da Costainas auf 2251 Metern Höhe erreichen. Am höchsten Punkt des heutigen Tages bot sich uns ein grandioser Ausblick auf die umliegenden Gipfel und Täler. Obwohl der Aufstieg nicht ganz ohne Herausforderung war, war die Aussicht die Mühe allemal wert.



Nachdem wir den Pass hinter uns gelassen haben, erreichen wir die im Winter geöffnete Alp Champatsch. Wir lassen uns im kleinen Gastraum nieder und bestellen Kaffee & Kuchen, Gesternsuppe oder auch einen Kaiserschmarren. Wow – was für ein kleines Paradies mitten im Schneesturm, welches uns hier empfängt.


Während vor der Tür weiterhin der Schnee im Wind herumwirbelt, wärmen wir uns im Inneren der Hütte auf. Vor uns liegt ein ca. 45-minütiger Abstieg nach Lü entlang einer Fahrstrasse, der keinerlei technische Schwierigkeiten aufweist.

Wir durchqueren zügig ein kurzes Stück mit Steinschlaggefahr, um kein unnötiges Risiko einzugehen. Bald schon erreichen wir das hübsche Dörfchen Lü mit seinen typischen Engadiner Zeichnungen an den Häuserfassaden.


Lü im Winter – Ein Paradies aus Schnee und Stille
Wenn der Winter Einzug hält, verwandelt sich das kleine Bergdorf Lü in eine zauberhafte Schneelandschaft. Auf 1.920 Metern Höhe liegt es oft in einer dicken, glitzernden Schneedecke, fernab vom Trubel der großen Wintersportorte. Wer hierherkommt, sucht nicht Après-Ski und überfüllte Pisten, sondern Ruhe, Natur und die Magie eines authentischen Bergwinters.
Lü ist ein Geheimtipp für Skitourengeher. Von hier aus lassen sich abwechslungsreiche Touren in Richtung Piz Terza oder nach Muntet unternehmen. Die Touren reichen von gemütlichen Anstiegen für Einsteiger bis hin zu anspruchsvollen Routen für erfahrene Alpinisten. Da Lü abseits der großen Skigebiete liegt, genießt man hier oft unverspurte Hänge und eine fast schon meditative Ruhe.
Durch die abgeschiedene Lage und die geringe Lichtverschmutzung ist Lü einer der besten Orte der Schweiz, um den Wintersternenhimmel zu beobachten. Hier befindet sich das Observatori astronomic Lü, bei denen man mit etwas Glück Planeten, Galaxien und sogar den Orionnebel durch das Teleskop bestaunen kann.



Von Lü kannst du das regelmässig verkehrende Postauto nach Fuldera und später nach Santa Maria nehmen oder auch ein Taxi. Unsere Schneeschuhleiterin hat bereits ihr Auto hier abgestellt, so dass sie uns direkt nach Santa Maria zum Hotel Alpina fahren kann.


Santa Maria im Val Müstair im Winter – Ein verstecktes Juwel in der Schneelandschaft
Santa Maria, ein hübsches Dorf im Val Müstair, entfaltet im Winter seinen ganz besonderen Charme. Eingebettet in eine märchenhafte Schneelandschaft, bietet es die perfekte Mischung aus Ursprünglichkeit, alpiner Natur und entspanntem Wintererlebnis – fernab von überfüllten Skigebieten und Massentourismus.


Die traditionellen Engadiner Häuser mit ihren sgraffito-verzierten Fassaden verleihen Santa Maria einen ganz besonderen Charakter. Beim Spaziergang durch das Dorf entdeckt man alte Bauernhöfe, gemütliche Cafés und kleine Läden, die regionale Spezialitäten wie Bergkäse, Trockenfleisch oder duftende Arvenprodukte anbieten. Besonders sehenswert ist die Mühle Mall, eine der ältesten Mühlen Graubündens, die erfolgreich wieder instand gesetzt wurde.


Hotel Alpina in Santa Maria im Val Müstair – Gemütlichkeit und Tradition inmitten der Berge
Das Hotel Alpina in Santa Maria im Val Müstair ist ein charmantes, familiengeführtes Haus, das Tradition mit moderner Gemütlichkeit verbindet. Das Alpina ist in einem traditionellen Engadiner Gebäude untergebracht, das mit seiner massiven Steinstruktur und den typischen Sgraffito-Verzierungen sofort ins Auge fällt. Innen empfängt die Gäste eine warme, rustikale Atmosphäre mit viel Holz, liebevollen Details und einem Hauch von Nostalgie – ohne dabei auf modernen Komfort zu verzichten. Die Zimmer des Hotels sind schlicht, aber gemütlich eingerichtet. Holzvertäfelungen, große Fenster mit Blick auf die umliegenden Berge und bequeme Betten sorgen für eine entspannte Atmosphäre. Am Abend genießen wir das 3-Gänge-Menü, dessen köstliche Knödel Erinnerungen an (Süd-) Tirol wecken. Da wir am nächsten Morgen sehr früh aufstehen müssen, gehen wir alle früh ins Bett.



ECKDATEN
Dauer | 5 Stunden |
Höhenunterschied | ↗ 488m↘ 380m |
Schwierigkeit | WT2 |
Länge | 15.1 km |
Lage | Kanton Graubünden |
Genaue Route | S-charl – Pass da Costainas – Alp Champatsch – Lü |
Tour durchgeführt im | März 2025 |
Geeignet für Kinder | Technisch unkompliziert, aber schon eher eine lange Tour. Für ältere Teenager geeignet. |
Buchempfehlung für weitere Schneeschuhtouren in der Schweiz | Das grosse Schneeschuhtourenbuch der Schweiz |
Offenlegung: Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Graubünden Ferien und Tourismus Engadin Scuol Samnaun Val Müstair. Dennoch bleiben meine persönlichen Meinungen, Ansichten und Ratschläge unverändert, da der Tourismusverband keine Einflussnahme auf die Berichterstattung ausgeübt hat.

